Vier Seelsorger betreuen in der Euregio-Klinik Nordhorn Patienten und Angehörige.

Trost in schwierigen Zeiten

Der Aufenthalt in einem Krankenhaus bedeutet einen Einschnitt in den normalen Alltag: Bisher Selbstverständliches wird auf einmal fraglich, Grenzen werden spürbar, Sorgen um die Zukunft und das Leben belasten.

Von Ulrich Hirndorf

Nordhorn. In der Euregio-Klinik stehen vier Seelsorger und Seelsorgerinnen der evangelischen und katholischen Kirche den Patienten und Mitarbeitern mit einem offenen Ohr und Gesprächen zur Seite und bieten darüber hinaus regelmäßig Gottesdienste in der Kapelle oder im Andachtsraum an. Jeden Sonntag wird dort um 9 Uhr zu einem Gottesdienst eingeladen, der offen ist für alle Konfessionen.

Der Gottesdienst wird auch auf dem Haus-TV (Kanal 4) übertragen. In der Kapelle als Ort der Ruhe und Stille können jederzeit Dank und Klage bedacht und ausgesprochen werden. Und auf Wunsch kommt zum Empfang der Sakramente ein Seelsorger zu den Patienten.

Begleiten die Patientinnen und Patienten auch in schweren Zeiten: die Seelsorger in der Euregio-Klinik, von links: Pastoralreferent Ludger Pietruschka, Gemeindereferentin Helena Witschen-Schulze-Berndt und Pastorin Martina Sievers-Gotthilf. Foto: Euregio-Klinik

Im Interview spricht die evangelisch-lutherische Pastorin Martina Sievers-Gotthilf über ihren Dienst als Krankenhausseelsorgerin, den sie seit 2012 in der Euregio-Klinik wahrnimmt. Die 50-Jährige, die mit ihren Kollegen auch im Bereich der ökumenischen Notfallseelsorge aktiv ist, lebt und arbeitet seit 1998 mit ihrer Familie in der Grafschaft. Für die Sonderaufgabe in der Klinik hat die Pastorin zwei Fortbildungen in Klinischer Seelsorge (KSA) absolviert und eine Ethikschulung durchlaufen, um den besonderen Herausforderungen im Umfeld eines Krankenhauses gerecht zu werden.

Wie unterscheidet sich die Seelsorgearbeit in einem Krankenhaus von der Seelsorge in einer Kirchengemeinde?

Seelsorge im Krankenhaus geschieht in der Regel punktuell in der aktuellen Begegnung, die gewünscht wird oder sich zufällig ergibt. Sie ist offen für alle Menschen, egal welcher Konfession, Religion oder Weltanschauung. In der Gemeinde geschieht Beziehungsaufbau im Besonderen mit Gemeindegliedern über verschiedene Begegnungen und Anlässe immer wieder, teilweise über Generationen (Taufe des Kindes der ehemaligen Konfirmandin), in der Klinik begegne ich einem Menschen jetzt und vielleicht nie wieder. Das weiß ich vorher nie.

Daher hat der aktuelle Augenblick einen hohen Wert und es erfordert Offenheit und Aufmerksamkeit für das, was jetzt dem Patienten oder Angehörigen auf dem Herzen liegt. Und weil ich oftmals eine „Fremde“ bin und, was wir reden, hier im Krankenhaus bleibt, werden manches Mal Dinge erzählt, die man vertrauteren Menschen nicht anvertrauen oder zumuten möchte. Manche Menschen, die um ihre besondere Krankheitssituation wissen, nutzen zudem sehr bewusst das Angebot eines seelsorgerlichen Gesprächs für das, was sie noch für sich klären wollen. Das ist manchmal sehr beeindruckend zu erleben.

Nicht immer endet ein Klinikaufenthalt mit der Genesung eines Patienten. Wie geschieht die Trauerarbeit im Krankenhaus?

Als Klinik-Seelsorgerin werde ich von den Stationen gerufen, wenn ein Patient verstorben ist und die Angehörigen seelsorgerliche Begleitung wünschen. Die Situationen sind individuell sehr verschieden.

Besonders, wenn der Tod völlig überraschend kam, gilt es vor allem, gemeinsam mit den Angehörigen diese Situation auszuhalten, stillschweigend oft, aber auch Mut machend zu weinen oder den oder die Verstorbene noch einmal zu berühren. Das braucht Zeit! Ich versuche zu helfen bei Fragen, wie betroffenen Kindern die Situation erklärt werden kann oder was als Nächstes zu tun ist. Und wenn es angefragt wird oder mir sinnvoll erscheint, biete ich ein Gebet oder eine Aussegnung an. In einer solchen Ausnahmesituation kann es helfen, auf vertraute Worte zu hören wie Psalmen oder das Vaterunser. Aber ich bete in der Regel frei und versuche, die Situation in Worte zu fassen.

Danach ist es wichtig, den Zeitpunkt zu finden, wann ich wieder gehe, um genug Raum für eigenen, ganz persönlichen Abschied zu lassen. Für mich beeindruckend sind besonders die Abschiede von Kindern, die vor ihrem Geburtstermin verstorben sind. Hier werden die Eltern auch von den Hebammen sehr liebevoll begleitet und brauchen Zeit und Nähe, um sich von ihrem viel zu früh verstorbenen Kind schon wieder zu verabschieden. Hier bieten wir deshalb immer im Dezember zusätzlich einen besonderen „Sternenkindergottesdienst“ an.

Fällt es Ihnen schwer, einen verstorbenen Patienten, den Sie begleitet haben, für die weitere Trauerarbeit und Vorbereitung der Beerdigung an die örtlichen Geistlichen abzugeben?

Ich verstehe meinen Auftrag so, dass meine Begegnung mit Patienten ihren besonderen Wert und Ort im Krankenhaus hat und hier endet oder bleibt. Daher fällt es mir meist nicht schwer, einen verstorbenen Patienten, den ich vielleicht längere Zeit, zum Beispiel auf der Palliativstation begleitet habe, an den Gemeindepastor „abzugeben“ – dieser wird nun in besonderer Weise die Angehörigen bei der Beerdigung und vielleicht darüber hinaus begleiten. Vielleicht hat er auch bereits seine eigene wertvolle „Geschichte“ mit dem Verstorbenen. Ich erlebe ja Menschen immer punktuell, dazu in Ausnahmesituationen. Diese besonderen Begegnungsbruchstücke aber sind mir sehr wertvoll!

Den Schritt vom Ortspfarramt zur Krankenhausseelsorge zu tun ist ein großer Schritt. Was war die Motivation?

Ich habe bereits als Pastorin in der Gemeindearbeit einen großen Wert auf seelsorgerliche Besuche und Gespräche gelegt, hatte aber bei den vielen Aufgabenfeldern nicht immer die Möglichkeit, dies so zu tun, wie ich gewollt hätte. Dann habe ich eine Elternzeit für Fortbildungen in Krankenhausseelsorge genutzt und konnte vor fünf Jahren mit meiner Arbeit in der Euregio-Klinik beginnen. Wir sind hier als Seelsorgerinnen und Seelsorger von drei verschiedenen Konfessionen tätig und ich erlebe diese ökumenische Vielfalt als Bereicherung. Vielleicht kann man sagen, Krankenhaus ist wie eine bunte Gemeinde auf Zeit, in der Menschen zusammenkommen und gemeinsam suchen, was ihnen Hoffnung und Mut macht oder was trösten kann oder wenigstens aushalten lässt. Und dann wieder ihrer Wege gehen, wohin auch immer sie führen.

Mein Predigen hat sich verändert, meine Sicht auf das Leben auch. Es gibt Brüche und Abbrüche, aber auch unglaublich wertvolle und schöne Augenblicke, die das Leben trotz Krankheiten und Tod, aber auch wegen geschenkter Begegnungen mit Menschen so lebenswert machen.